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Arbeiten um zu leben nicht leben um zu arbeiten

#1
Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral
 
In einem Hafen an einem der großen Flüsse Europas liegt ein ärmlich gekleideter Mann auf seinem Lastkahn und döst. Ein schick angezogener Tourist legt eben einen neuen Farbfilm in seinen Fotoapparat, um das idyllische Bild zu fotografieren: blauer Himmel, grüner Fluß mit friedlichen schneeweißen Wellenkämmen, schwarzer Kahn, hellblaue Schiffermütze. Klick. Noch einmal: klick. Und da aller guten Dinge drei sind und sicher sicher ist, ein drittes Mal: klick. Das spröde, fast feindselige Geräusch weckt den dösenden Schiffer, der sich schläfrig aufrichtet, schläfrig nach seiner Zigarettenschachtel angelt; aber bevor er das Gesuchte gefunden, hat ihm der eifrige Tourist schon eine Schachtel vor die Nase gehalten, ihm die Zigarette nicht gerade in den Mund gesteckt, aber in die Hand gelegt, und ein viertes Klick, das des Feuerzeuges, schließt die eilfertige Höflichkeit ab. Durch jenes kaum meßbare, nie nachweisbare Zuviel an flinker Höflichkeit ist eine gereizte Verlegenheit entstanden, die der Tourist – der Landessprache mächtig – durch ein Gespräch zu überbrücken versucht.
 „Sie werden heute gute Fracht machen.“
Kopfschütteln des Schiffers.
 „Aber man hat mir gesagt das Frachtaufkommen ist günstig.“
Kopfnicken des Schiffers.
 „Sie werden also nicht losfahren.“
Kopfschütteln des Schiffers, steigende Nervosität des Touristen. Gewiß liegt ihm das Wohl des ärmlich gekleideten Menschen am Herzen, nagt an ihm die Trauer über die verpaßte Gelegenheit.
 „Oh, Sie fühlen sich nicht wohl?“
  Endlich geht der Schiffer von der Zeichensprache zum wahrhaft gesprochenen Wort über. „Ich fühle mich großartig“, sagt er. „Ich habe mich nie besser gefühlt:“ Er steht auf, reckt sich, als wolle er demonstrieren, wie athletisch er gebaut ist. „Ich fühle mich phantastisch.
  Der Gesichtsausdruck des Touristen wird immer unglücklicher, er kann die Frage nicht mehr unterdrücken, die ihm sozusagen das Herz zu sprengen droht: „ Aber warum fahren Sie dann nicht los?“
  Die Antwort kommt prompt und knapp. „Weil ich gestern schon unterwegs gewesen bin.“
  „War die Frachtrate gut?“
  „Sie war so gut, daß ich heute nicht zu fahren brauche, ich habe 200t Eisen und 300t Steine abgeliefert ...“
Der Schiffer, endlich erwacht, taut jetzt auf und klopft dem Touristen beruhigend auf die Schultern. Dessen besorgter Gesichtsausdruck erscheint ihm als ein Ausdruck zwar unangebrachter, doch rührender Kümmernis.
  „Ich habe sogar für morgen und übermorgen genug“, sagt er, um des Fremden Seele zu erleichtern. „Rauchen Sie eine von meinen?“
  „Ja, danke.“
  Zigaretten werden in Münder gesteckt, ein fünftes Klick, der Fremde setzt sich kopfschüttelnd auf den Rand des hölzernen Lukendachs, legt die Kamera aus der Hand, denn er braucht jetzt beide Hände, um seiner Rede Nachdruck zu verleihen.
  „Ich will mich ja nicht in Ihre persönlichen Angelegenheiten mischen“, sagt er, „aber stellen Sie sich mal vor, Sie führen heute und morgen und übermorgen oder sogar jeden Tag und Sie würden 800t, 1000t, 1200t, vielleicht gar 2000t Fracht abliefern – stellen Sie sich das mal vor.“
  Der Schiffer nickt.
  „Sie würden“, fährt der Tourist fort, „nicht nur heute, sonder morgen, übermorgen, jeden Tag, ja sogar die Nacht fahren – wissen Sie, was geschehen würde?“
   Der Schiffer schüttelt den Kopf.
  „Sie würden sich in spätestens einem Jahr ein größeres Schiff kaufen können, in zwei Jahren ein noch ein größeres, in drei oder vier Jahren könnten Sie vielleicht einen Schubverband haben, mit einem großen Schiff oder dem Schubverband würden Sie natürlich viel mehr Fracht transportieren – eines Tages würden Sie zwei Schubverbände haben, Sie würden ...“, die Begeisterung verschlägt ihm für ein paar Augenblicke die Stimme, „Sie würden einen kleinen Umschlagplatz bauen, vielleicht einen Speicher, später einen Hafen, mit einem eigenen Hubschrauber die Schiffe und den Hafen überwachen, über Funk Anweisungen geben. Sie könnten Transportrechte für große Kraftwerke erwerben, ein Containerterminal eröffnen, die Fracht ohne Zwischenhändler von A nach B selbst transportieren – und dann ...“, wieder verschlägt die Begeisterung dem Fremden die Sprache, Kopfschüttelnd, im tiefsten Herzen betrübt, seiner Urlaubsfreude schon fast verlustig, blickt er auf die friedlich dahin strömenden Fluten, wo noch ausreichend Platz ist für nicht gefahrene Frachten. „Und dann“, sagt er, aber wieder verschlägt ihm die Erregung die Sprache.           
  Der Schiffer klopft ihm auf den Rücken, wie einem Kind, das sich verschluckt hat. „Was dann?“ fragt er leise.
  „Dann“, sagt der Fremde mit stiller Begeisterung, „dann könnten Sie beruhigt hier im Hafen sitzen, in der Sonne dösen – und auf den herrlichen Fluß blicken.“
  „Aber das tu` ich ja schon jetzt“, sagt der Schiffer, „ich sitze beruhigt am Hafen und döse, nur Ihr Klicken hat mich dabei gestört.“
  Tatsächlich zog der solcherlei belehrte Tourist nachdenklich von dannen, denn früher hatte er auch einmal geglaubt, er arbeite, um eines Tages einmal nicht mehr arbeiten zu müssen, und es blieb keine Spur von Mitleid mit dem ärmlich gekleideten Schiffer in ihm zurück, nur ein wenig Neid.
 
 Heinrich Böll
Abgewandelt von Grambamboli / Albrecht
Es muss a Bläde geben, aber die wern ja immer märer (Meister Eder)

[Bild: Grambamboli_Mix.gif]
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#2
Eine weise Entscheidung, kann ich nur bestätigen. Manchmal hat man keine Wahl, aber wenn man sie hat, sollte man sie nutzen.
[Bild: Revor_Taren_CF.png]
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#3
(25.08.2020, 18:06)Revor Taren schrieb: Eine weise Entscheidung, kann ich nur bestätigen. Manchmal hat man keine Wahl, aber wenn man sie hat, sollte man sie nutzen.
Was wir am wenigsten haben auf diesem Planeten ist Zeit, ist den meisten nur nicht bewusst. Sm30
Es muss a Bläde geben, aber die wern ja immer märer (Meister Eder)

[Bild: Grambamboli_Mix.gif]
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#4
Hmm, Zeit ist schon eine Menge da. Es ist nur dir Frage, was man damit macht. Ich denke die Kunst ist es, eine angenehme Balance zwischen Anspannung und Entspannung zu finden. Auch Entspannungs-Maximierung finde ich auf Dauer langweilig. Aber ja, sich für die Entspannung, die vielleicht niemals kommt, buckelig zu arbeiten ist auf jeden Fall falsch.
[Bild: Homir_Munn_SEC.png]
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#5
Diese Geschichte steht im Religionslehrbuch, Klasse 7/8 und wird beim Thema "Arbeit und Freizeit" gelesen. :-)
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#6
(25.08.2020, 22:42)OnlyRumors schrieb: Diese Geschichte steht im Religionslehrbuch, Klasse 7/8 und wird beim Thema "Arbeit und Freizeit" gelesen. :-)
Wie schon Einstein sagte „Zeit ist relativ“.
Für jeden vergeht die Zeit unterschiedlich, beim Spiel vergeht sie viel zu schnell, beim Liebesspiel hingegen vergeht sie der Frau als zu schnell. Hingegen bei einer Stundengeschwindigkeit von 8 km/h sieht man in einer Stunde ganz schön viel Landschaft, wobei einem eine Stunde recht lange vorkommt. Derjenige der auf seinen Zug wartet und der eine Stunde Verspätung hat, wird da schon eher ungeduldig und die Stunde wird zur Ewigkeit. Je älter man wird umso schneller kommt es einem vor, dass die Jahre vergehen und wenn man durch viel Glück die 80 Jahre erreicht hat fragt man sich wo ist die Zeit geblieben. Hingegen im Alter von 15 erscheint das Leben ewig zu wären und alle die über 30 Jahre sind, alte Menschen.

Daher Zeit ist relativ.
o7 Grambo
Es muss a Bläde geben, aber die wern ja immer märer (Meister Eder)

[Bild: Grambamboli_Mix.gif]
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